Forum Migration 2016

"Integration durch Bildung! Neue Ansätze für Geflüchtete" war Thema des 21. FORUM MIGRATION am 8. Dezember 2016 im Bonner Post Tower.

"Wir schaffen das", Menschen, die vor Krieg, Verfolgung, Vertreibung zu uns geflüchtet sind, in unser Bildungssystem zu integrieren – darin waren sich alle Beteiligten einig. Diese Aufgabe ist auch eine – positive – Herausforderung für unser Bildungssystem. Und: "Wir schaffen das, weil es zivilgesellschaftlich ermöglicht wurde", so Pfarrer Dr. Wolfgang Picken.

Dr. Rainer Wend, Leiter des Zentralbereichs Politik und Regulierung der Deutschen Post DHL Group, begrüßte die Gäste des 21. FORUM MIGRATION im Bonner Post Tower. Wie international sein Unternehmen aufgestellt ist, zeigen die Zahlen: die 3.000 Beschäftigten des Bonner Standortes kommen aus 52 Nationen, mit weltweit 50.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist die Deutsche Post in jedem Land der Welt vertreten. Selbstkritisch konstatierte Dr. Wend, dass die Deutsche Post als Dax-Unternehmen Vorbild sein sollte in ihrem Engagement für Geflüchtete: 364 Praktikanten bis heute, 136 Festangestellte und 14 Auszubildende sind nicht genug. Hürden seien die Sprache und die Qualifikationen.

Dr. Lothar Theodor Lemper, Präsident der OBS, bedankte sich bei den Mitgliedern des Fachbeirates der OBS für die Vorbereitung des Forums. Er erläuterte in seinem Eröffnungsreferat die Fluchtsituation weltweit und wie sie sich in Europa bzw. Deutschland darstellt: von den weltweit 65 Millionen Menschen, die vor Krieg, Verfolgung, Vertreibung, Hungersnot, Klimawandel, Recht-, aber auch Perspektivlosigkeit fliehen, leben 90 % in Entwicklungs- bzw. Schwellenländern. Deutschland hat etwas mehr als eine Million Geflüchtete aufgenommen, das ist ein Verhältnis zur Bevölkerung von 1:80. Angesichts dieser Zahlen unterstütze er ausdrücklich das "Wir schaffen das" von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Dr. Lemper appellierte, die zum großen Teil traumatischen Erfahrungen der Geflüchteten zu berücksichtigen. Erzieher, Lehrer, Ausbilder werden sich mit dem Thema auseinander setzen müssen. Er erinnerte daran, dass die Geflüchteten meist alles verloren haben: Familie, Bindungen, Heimat, Besitz. Aber ihre Talente, ihre Qualifikationen haben sie mitgebracht und darauf können sie bauen. Wir müssen ihnen nur helfen, sie hier einsetzen zu können. Dr. Lemper forderte alle Beteiligten auf, endlich ihre "Integrationsverantwortung" wahrzunehmen statt sich zu sorgen, ob wir das schaffen. In diesem Zusammenhang begrüßte er ausdrücklich die Aufstockung des Garantiefonds Hochschule, mit dem die OBS im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Sprachkurse für zugewanderte Studierwillige fördert, damit sie ein Hochschulstudium beginnen oder fortsetzen können.

Der Vorsitzende des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Prof. Dr. Thomas Bauer, sieht in der Arbeit den besten Schlüssel zur Integration. Sein Eröffnungsvortrag befasste sich mit dem Thema "Fluchtmigranten in Bildung und Ausbildung: Herausforderungen und Perspektiven". Er lieferte Zahlen zur Alters- und Bildungsstruktur derjenigen, die 2015 Asylerstanträge gestellt haben: ca. 250.000 Kinder und junge Menschen sind in unserem Bildungssystem aufgenommen worden. 58 % der Geflüchteten haben 10 und mehr Jahre in Schule, Ausbildung und Hochschule verbracht, 13 % haben einen Hochschulabschluss, 6 % einen beruflichen Abschluss. Prof. Dr. Bauer führte aus, dass im Vergleich zur Wohnbevölkerung der Anteil mittlerer Qualifikationen geringer ist. Die Bildungsaspiration der Geflüchteten beschreibt er als hoch. Die sich daraus ergebenden Herausforderungen an unser Bildungssystem sind:

  • ­Kinder schnell beschulen
  • ­den Zugang zur dualen Berufsausbildung ermöglichen (z.B. „Prüfung modularer Ausbildungsgänge“)
  • ­die im Herkunftsland erworbenen Fähigkeiten und Kompetenzen erfassen (statt Fixierung auf formale Abschlüsse)

In einem moderiertem Gespräch über die Herausforderungen der Bildungsintegration vor Ort berichtete Pfarrer Dr. Wolfgang Picken, wie der Runde Tisch in Bad Godesberg alle Akteure der Flüchtlingshilfe – sowohl Haupt- als Ehrenamtliche – zusammengebracht hat, um die sich ständig verändernden Herausforderungen zu organisieren. Nach der Erstunterbringung geht es darum, schnell die Sprache zu erlernen – es wurden unkonventionell Sprachkurse organisiert, ohne eine mögliche Anerkennung abzuwarten. Dann brauchen die in der Mehrzahl jungen Männer Orientierung, was sie machen können – "das braucht Zeit und Geduld". Im Bereich Kindergarten/Schule zeigt sich laut Dechant Dr. Picken, dass heute nicht mehr von familien-begleitender, sondern oft familien-ersetzender Erziehung gesprochen werden muss. Das bringt neue fachliche und zeitliche Herausforderungen mit sich, die das System, das durch großen Investitionsstau bereits jetzt am Limit ist, weiter an den Rand des Machbaren bringen.

In seinem engagierten Statement machte Dr. Picken deutlich, dass Integration nur durch direkte persönliche Bindung gelingt. Das bedeutet, die so erfolgreiche Kooperation von Staat und gesellschaftlichen Kräften könnte als "Blaupause" dienen für andere Probleme wie Erziehung oder Pflege kranker und alter Menschen. Konsequenterweise heißt das aber auch, dass die Zivilgesellschaft politisch mitentscheiden möchte.

Dr. Lale Akgün, Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin aus Köln, mahnte eindringlich, Schulen mit der Betreuung traumatisierter Kinder nicht allein zu lassen – helfen müssen Sozialarbeiter, Therapeuten, Psychologen. Wichtig sei auch, die Kinder so zu behandeln, als würden sie bleiben, denn ein "Leben in Wartestellung ist kein Leben." Um erfolgreich zu integrieren, legt Dr. Akgün den Schulen nahe, Elternarbeit zu machen. Sie rief die Migrantenselbstorganisationen dazu auf, auf der Basis ihrer Erfahrungen die Neuangekommenen zu unterstützen. Dr. Akgün wies darauf hin, dass Geflüchtete einen Prozess durchmachen zwischen Euphorie und Enttäuschung, den es zu begleiten gelte.

Tobias Schmidt koordiniert in Passau das ehrenamtliche Engagement und berichtete, wie Passau es geschafft hat, im Oktober 2015 täglich 8.200 Neuankömmlinge zu versorgen: Die Freiwilligen haben sich selbst organisiert und erhalten durch Mentoring-Projekte Unterstützung von Seiten der Stadtverwaltung.

Christiane Schüßler vom Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes NRW konnte berichten, dass in Nordrhein-Westfalen 6.500 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer eingestellt wurden; man rechnet mit ca. 40.000 neuen Kindern und Jugendlichen durch die Zuwanderung von Geflüchteten. In manchen ersten Klassen haben 50 % der Kinder einen Migrationshintergrund, dies bedarf sprachsensibler Unterrichtsmethoden – bisher hat NRW 186 mehrsprachige Lehrer.

Professor Dr. Andreas Pott, Direktor des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) und Mitglied des Fachbeirates der OBS, skizzierte in seiner Einführung in die Diskussionsrunden, dass Untersuchungen des IMIS über Prozesse des sozialen Aufstiegs zeigten, dass unser Bildungssystem Ungleichheit reproduziert, statt sie zu überwinden. Weil das System auf Homogenität basiert und immer noch von Normalbiografien ausgeht, stellt die Heterogenität einer Migrationsgesellschaft eine Herausforderung für ein solches Bildungssystem dar.

Prof. Dr. Juliane Karakayali von der Evangelischen Hochschule Berlin, beschrieb die aktuellen Ergebnisse einer Studie über "Die Beschulung neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher in Berlin". Sie beschreibt fünf schulorganisatorische Modelle für neu zugewanderte Kinder und Jugendliche und nennt die Probleme separierter Beschulung: Spracherwerb in separaten Klassen wird als ineffizient beschrieben, Leistungsstand und schulische Vorerfahrungen sind sehr unterschiedlich, es gibt kein Curriculum, keine verbindlichen Kriterien für den Übergang in eine Regelklasse, der Übergang ist häufig mit einem Schulwechsel verbunden u.v.m.

Thomas Böhm, Referatsleiter Ausländerstudium der Hochschulrektorenkonferenz, und Professor Dr. Klaus Deimel, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, informierten über "neue Angebote für zugewanderte Akademikerinnen und Akademiker", die von studienvorbereitenden Maßnahmen bis zur Qualifizierung zugewanderter Akademikerinnen und Akademiker für den deutschen Arbeitsmarkt reichen. Professor Dr. Deimel beschreibt das Projekt OnTOP, das seine Hochschule gemeinsam mit der OBS im Rahmen des IQ-Netzwerkes NRW durchführt: hier wird Fachsprache erlernt, fachspezifische Kenntnisse erworben, interkulturelles Training ermöglicht. Alle 18 Teilnehmenden aus 10 Nationen haben die Maßnahme erfolgreich abgeschlossen; vier hatten bereits vor Ende der Maßnahme einen Arbeitsvertrag in der Tasche.

Der stellvertretende Schulleiter des Schiller Gymnasiums in Köln, Georg Scheferhoff, und die Studienrätin Dagmar Seeböck, Lessing Gymnasium Lampertheim, schilderten, "wie Vielfalt in der Schule gelingt". Das Schiller Gymnasium als "Schwerpunktschule für Geflüchtete" geht einen "teil-integrativen" Weg, indem die Schülerinnen und Schüler partiell am Unterricht in den Regelklassen teilnehmen, und haben mit dieser Methode sehr gute Erfahrungen gemacht. Um das Verständnis der Schülerinnen und Schüler untereinander zu verbessern – es gibt 23 Nationen am Lessing-Gymnasium Lampertheim – wurde als fester Bestandteil des Schulprogramms eine Arbeitsgruppe "Kulturen der Welt" etabliert.

"Neue Wege für Flüchtlingskinder: Zugewanderte im Vorschulbereich" war Thema von Professor Dr. Birgit Leyendecker, Entwicklungspsychologin an der Ruhr-Universität Bochum, und Volker Abdel Fattah, Kinder- und Jugendhilfe im AWO-Landesverband Sachsen e.V.: Beide machten deutlich, wie entscheidend eine professionelle Aufnahme vielfach traumatisierter Kinder in vorschulischen Einrichtungen ist (Stichwort "Brückenprojekte"). Volker Abdel Fattah hat die Erfahrung gemacht, dass die Integration von Kindern Garant für die Integration der Familie ist.

"Berufliche Schulen als Brücken in den Arbeitsmarkt" war Gegenstand der Ausführungen von Professor Dr. Alfred Riedl von der Technischen Universität München und Anja Weier vom "Dienstleistungszentrum Bildung" der Stadt Dortmund. Professor Dr. Riedl unterstützte und bestätigte die Forderung, der beruflichen Bildung bei der Integration Geflüchteter eine größere Bedeutung zukommen zu lassen. Frau Weier zeigte auf, wie die Stadt Dortmund neu zugereiste Jugendliche zentral im "Dienstleistungszentrum Bildung" informiert, berät und vermittelt. Das Projekt "angekommen", das Dortmund gemeinsam mit der Walter Blüchert Stiftung und dem nordrhein-westfälischen Ministerium für Schule und Weiterbildung durchführt, richtet sich an Geflüchtete und Zuwanderer zwischen 16 und 25 Jahren, die einen Schulabschluss machen bzw. einen Beruf erlernen wollen: sie erhalten Unterricht, der auf ihre Kenntnisse zugeschnitten ist, um schnell in eine Regelklasse zu gelangen oder sie starten eine Berufsausbildung, wobei sie kontinuierlich begleitet und betreut werden.

Die nahezu 300 Teilnehmenden nutzen die Pausen rege, um sich auszutauschen.

Fotos: Hans-Theo Gerhards

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